Montag, 16. Juli 2018

Die Metapher


Montag, am 16. Juli 2018 – Zell am See
"Ich würde über den heutigen Sonntag gar nicht schreiben. Ich will dieses Buch doch nicht in einem Trainingstagebuch umwandeln, aber die Ereignisse von heute waren die Metapher meines aktuellen Lebens. Es war alles so deutlich irgendwie: egal wie tief, egal wie überraschend, egal wie steil, egal wie schmutzig, egal wie riskant, der Weg kennt eine einzige Richtung und sie heißt: geradeaus! Und genau wie ich heute die zwei Situationen überlebt habe, genauso werde ich das Leben überleben!

Der Plan für den Tag war gedanklich anders. Ich wollte zum Imbachhorn, ich wollte spätestens um neun starten. Aber um neun war ich noch im Bett und teilweise wusste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich pendelte zwischen „lass mich in Ruhe“ und „mach was aus deinem Leben, Mädel!!“. Schwierig zu erklären, aber es geht mir so seit (...)

Um 11:25 startete ich beim Kesellfall mein Abenteuer zu Fuß zu den Stauseen. Ich hatte die Idee, die Strecke als Berglauf zu absolvieren, seit Anfang Juni, als ich zum ersten Mal die Stauseen besichtigt habe. Und heute kam der Tag dafür.

Angesagt sind drei und halb Stunden. Ich dachte mir, in weniger als drei Stunden laufe ich hinaus. Der Pfad fängt schmal und steil nach oben und binnen insgesamt 13 km sind etwa 1.000 m in der Höhe zu absolvieren. Es war sonnig und angenehm warm. Ich musste bald feststellen, dass ich zwar die kleine Kamera mithatte, aber keine Speicherkarte. Also, die einzige Möglichkeit war mein Handy für Fotoaufnahmen im Einsatz zu bringen, was eigentlich keine gute Idee ist, wenn mein keine mobile Strombank dabeihat.

Das Segment durch den dunklen, feuchten Tunnel bei etwa 8. Km war nicht spannend. Es war wie ein Stück von emotionellen Ängsten und Ereignisse meines Lebens der letzten 3-4 Jahren. Durch einem dunklen, engen, kalten, feuchten Tunnel zu gehen bringt mir eine Spannung, die mir nicht gefällt. Ich habe das Gefühl meinen wichtigsten Sinnen zu verlieren und ich weiß nie, was es folgt oder ich überhaupt wieder ans Licht komme.

Als ich jetzt, 24 Stunden später, diese Zeilen schreibe, sehe ich das gestrige Abenteuer als die vollständige Metapher meines (aktuellen) Lebens und das Gefühl, das Licht am Ende des Tunnels wieder zu begegnen, ist jetzt stärker als gestern, vorgestern und als letzte Woche.

Die Strecke durch den Tunnel führte mich wieder heraus nach 3-4 Minuten. Genauso abrupt wie angefangen hatte, musste ich links durch die Felsenwand biegen. Ein Glück, ich rannte nicht, ich wäre abrupt ins Leere gestürzt!!

Die Landschaft, die plötzlich vor meinen Augen lag, war im totalen Kontrast mit dem Loch, woher ich kam. Ich kam aus dem Schwarz und landete im hellen, unglaublichen Grün-Türkis des ersten Stausees und darüber hinaus ragte sich prachtvoll, in seinem lebendigen grün, ein großer, runden, höhen Berg durchquert durch schmalen, langen, wellenartigen Wasserfällen. Das Aha-Gefühl war da und gleichzeitig kam die Unverständlichkeit: „Na, bin wieder ins Licht, aber wohin jetzt?!“
Ich stand beim Eingang einer Grotte auf einem winzigen stabilen Felsenstück, das sich direkt aus dem Berg hinausragte. Zwei Personen hätten dort kein Platz gehabt. Links war die Trennung durch den profilierten Felsen ganz klar, deutlich und fest. Es war unmöglich nach links zu gehen. Runter stand der Abgrund bis zum Wasser und man hätte sich auf keinem Fall gewünscht, auf diese Rutsche zu fallen. Rechts kam Wasserfall von ganz oben, vielleicht 200 m Höhe über mich. Beim ersten Blick schien alles unmöglich und ich dachte mir sogar, ich bin falsch gelandet. Ich ging nochmal zum Tunnel. Nein, ich war nichts falsch, durch den Tunnel weiter zu gehen war absolut nicht möglich, aus Platzmangel. Dorthin verkehren die Pendelbusse und es gab für Fußgänger keine Möglichkeit mehr. Die Höhe und die Breite des Tunnels war genau geschnitten, dass gerade ein Bus durchfahren konnte und seitlich war undenkbar zu passen. Ich musste also die Lösung entdecken. Sie war dort, vor meinen Augen. Ich musste sie sehen und wahrnehmen.

Also zurück zu den märchenhaften Farben des Sees und des Berges und des Felsens. Ich guckte durch das kristalline Wasser des Wasserfalls rechts von mir abrupt nach unten. Rutschig, steil, nass ….. aber es war ein Felsensteig, der mich zu dem Pfad weiterführte! Ich sah den schmalen Pfad, dass ich vor dem Tunnel verlasen musste …. Er schlängelte sich fast unbemerkbar entlang der grünen Bergewand und verschwand nach der Kurve. Wow! Es war die einzige Option um runter zu kommen! Ich fühlte sofort, ich muss verdammt viel Mut haben, um den Abstieg überhaupt zu starten! Die innere Stimme sagte mir: „Wenn du das machst, wenn du der Mut hast, dieser Abstieg zu starten, dann hast du die Chance, wieder auf dem normalen Pfad zu treten und deine Reise fortzufahren……“ Ich schwöre es, genauso kam mir durch den Kopf!

Wir sind nie genug vorbereitet für das reale Leben, besonders, wenn wir es entscheiden, das realen Leben zu testen, statt in einer Ecke zu kriechen und die Illusion zu haben, das Leben wäre kuschelig und wäre sich nur bei der Größe unserer Ecke begrenzen! Ich war nicht vorbereitet für diesen abrupten Abstieg und ich guckte nach unten mit einem leeren, gestressten Magen! Einige Sekunden lang dachte ich mir, ich kann es nicht tun, die Herausforderung überforderte mich. Sekundenlang dachte ich mir: „Es kann nicht sein, dass diese die einzige Möglichkeit ist …… es kann nicht sein, dass ich nur durch diesen Abstieg ich raus von hier komme und den richtigen Pfad wiederfinde!“

Ich war so angespannt, soooo angespannt ….. aber es dauerte insgesamt nicht länger als drei bis fünf Minuten. Ich wusste, aus Erfahrung, die Reise musste fortgesetzt werden und auf dem Berg sollte sich nicht lange aufhalten, besonders in gefährlichen Situationen und Stellen. Fortbewegen, bis nicht zu spät ist. Zurück durch den Tunnel war sicherlich keine Option. Nicht weil ich nicht „aufgeben“ wollte und unbedingt mein Endziel erreichen wollte, nein! So ehrgeizig war ich im Grunde nie, mindestens nie bewusst. Ich glaube bei mir funktioniert es so, dass ich es gar nicht verstehen kann, in der Mitte einer Strecke oder kurz vor das Ziel alles aufzugeben, nur weil ein Hindernis im Wege steht. Es geschah mir beim 2. Ironman. Ich hatte niemandem nichts zu beweisen, ich hatte nichts zu gewinnen oder zu verlieren, ich war 80% in Komazustand, aber ich bewegte mich weiter, halb gebückt und voll im Tränen …. Noch 4 Km zu laufen, noch 3 Km zu laufen, noch 2 Km zu laufen, noch 1,5 Km zu laufen, alle feuerten mich an und durch Tränen ich sagte ununterbrochen: „Ich kann nicht mehr, ich falle um ….“ Und ich fiel nicht um …. Noch 100 m zu laufen, dann kam ich ins Ziel und fiel um. Warum entschied ich mich für Ironman-Distanzen überhaupt? Weil ich die Emotionen diesen Tagen möglichst lange erleben wollte, darum! Die Faszination des Tages war einfach unwiderstehlich, es war die Droge, die ich brauchte und es war stark!

In den Himalayas durfte ich ähnliche Szenen zu erleben und keine Seele war in der höhen Öde, Ende Dezember, um mich zu finden und zu retten. Woher kommt diese Stärke, meine Güte?! Überlebungsinstinkt, was sonst?!

Ich sah mich erneut um, um alle Optionen zu entdecken. Es gaben keine. Es gab nur eine. Eine einzige. Eine nasse, rutschige, abrupte Option.  I fühlte sehr deutlich, dass ich mein ganzen Mut zusammensetzen musste.

Die Angst ist nur einen Gedanken.

Die Angst ist nur einen Gedanken.

Die Angst ist nur einen Gedanken ……

Die Intuition flüsterte mir: „Du schaffst es!“

Ich hörte sie zu.

Vor lauter Anspannung vergaß ich sogar um Hilfe zu beten und traute mich ins Wasser, entlang der kalten Felsenwand, nach unten! Jetzt weiß ich, meine Schutzengel, die mich immer auf die Reisen begleiten, waren dabei. Den ganzen Tag, aber irgendwie stiller und versteckter als ich gewöhnt war.

Der Abstieg begann mit pokendem Herzen. Was mich noch aus dem vollständigen Gleichgewicht meinen Sinnen brachte war auch der Lärm des fallenden Wassers. Die Kraft des Wassers, die gefährliche Kraft des Wassers entspannt mich nie. Darüber habe ich in einem vorigen Kapitel des Buches schon ausführlicher geschrieben. Heute war der Tag, indem ich mit vielen Ängsten zu tun hatte. Und ich überwand sie alle und ich kam heil ins Ziel.

Nach wenigen Minuten war ich nicht nur pitschnass, aber erleichtert auf solidem Boden und rannte tatsächlich zu „meinem Pfad“, obwohl der Pfad sich bergaufsteigend in einer Kurve wieder verschwand. Es war aber ein Stück davon, das mir die Erleichterung gab und wahrscheinlich das Vertrauen, dass alles gut verläuft. Ich hatte das Gefühl, einen gewaltigen Hindernis überwältigt zu haben. Ich hatte keine Ahnung, was nach der Kurve kam.

Ich „nahm mein Pfad im Besitz“, hielt an und schaute zurück zu dem schwarzen Loch in den Felsen, woher ich gerade durch Wasserfall abgestiegen war. Es war alles einfach so unglaublich. Genauso unglaublich war, dass dort, versteckt in den riesigen Berg, diesen proportional winzigen dunklen Loch war, welches zu einem langen Tunnel führte und dort, durch den Berg, jeden Tag Buse voll mit Menschen verkehrten! Ein unglaubliches Meisterwerk.

Ich kehrte dem schwarzen Loch den Rücken und schaute geradeaus zu dem Pfad und ging weiter. Nach der Kurve öffnete sich die steile Landschaft und ich atmete erleichtert. Dann näherte ich mich zu einem langen Rift, welches von ganz oben bis ganz unten ins Seewassers sich streckte. Dadurch floss viel und schnell kristallklares Wasser aus dem herumliegenden Gletschern.  Es war wie eine offene Wunde, die der Körperteil des Berges überquerte, mal sehr tief, mal weniger tief. Ein Rift ist im Grunde ein Riss, eine Erdspalte. Die Erde ist geprägt von einigen tiefen Spalten und Afrika scheint am meinst betroffenes Kontinent zu sein. Die Prozesse dauern allerdings Millionen von Jahren bis die inneren Bewegungen der Erde plötzlich an die Oberfläche gelangen.  

Es gaben noch Altschneeplatformen und durch den anscheinend langsamen Schmelzprozess bildeten sie erstaunlich schönen Landschaftsstücken. Mein Handy hatte nur noch 20% Energie zur Verfügung, ich nahm aber trotzdem einige Bilder.

Als ich die Bilder aufnahm, war mir noch nicht klar, welche neue Herausforderung auf mich zukam!

Ich schaute mich dann, ganz beruhigt, nach einer Stelle, wo ich über den Riss die Verbindung zu dem verlorenen Pfad wiederfinden konnte. Weil der Pfad war wieder ganz plötzlich verschwunden, bevor ich sogar merkte. Ich stand also auf einem Stück Felsen, von Schnee und viel Gestein zugedeckt, ohne zu merken, ich war auf dem Rand der Spalte eigentlich. Ich nahm zuerst das Gefahr gar nicht wahr, ich dachte mir, ich kann einfach weiter auf Schnee spazieren gehen und ganz ruhig auf dem Pfad hinüber eintreten. Ich habe keine Ahnung, wieso ich die Situation nicht sofort merkte. Ich merkte es erst, ich ich ein drittes Bild aufnahm. Da zeigte sich eine millimeterdünne Brücke über die Spalte und darunter ….. war nichts …. Doch, es war die Leere ins schnell fließendes kaltes Wasser und die Gesteine und Felsenstücke und die Tiefe der Spalte, meine Güte! Ich nahm es nicht sofort wahr, weil mir so eine Gefahr fremd war oder besser gesagt, sie kam mir hier total unerwaret!! Ich kannte das Bild solchen Spalten, die im Winter unter viel Schnee liegen und dadurch tiefen Gletscherspalten bilden, nicht. Ich wusste wohl, wie eine Gletscherspalte aussieht, ich bin doch in den Anden über solche eine, in der Höhe von über 5.500 m sogar gesprungen, als wir damals von der Chimborazo Gipfel den Abstieg marschierten, um 7 Uhr in der Früh! Aber hier .... hier sah alles anders aus. Bei 5.000 Meter auf dem Gletscher ist alles nur Eisblöcke und die Spalten sich gewaltig und anders, total anders .....

Ich trit sofort zwei Schritte zurück. Mir war das Gefahr plötzlich bewusst und suchte wieder nach einer Option. Zwischen mein Teil der Spalte und der anderen Teil der Spalte, woraus sich der Pfad wieder hinaus ragte, lag das Wasser und den Riss. Es war nicht sehr tief, vielleicht 3 bis 5 Meter, aber ein Abstieg darunter schien mir zu gefährlich, alles war brüchig und zu steil, Verletzungsgefahr war riesig. Dorthin zu fallen oder zu rutschen war kein Spaß und es war genug, um dir die Knochen zu zerbrechen und nie wieder alleine raus zu kommen. Wer um Gottes Willen hätte mich dort gefunden und gerettet?

Ich konnte den Überblick über das Segment wo ich gerade war nicht kriegen. Vor meinen Füßen war der Schneeblock, dann kam ein leicht erhöhtes Segment und ich konnte nicht sehen, ob dahinten der festen Boden war oder Schnee oder einfach die Leere. Ich zog mich mehrere Schritte zurück auf dem Pfad worauf ich kam, stieg ein paar Meter hoch auf dem Berg, dann kam ich zurück und guckte sehnsüchtig nach unten zum See, um eine mögliche Überquerungsstelle zu entdecken. Ich sah sie nicht.

Hätte ich eine Stelle gesehen, wo ich problemlos in der Spalte hineingehen hätte können, so hätte ich die Option gehabt. Aber ich fand die Stelle nicht, vor allem die Stelle wo ich das Wasser gefahrlos überqueren hätte können und wieder raus aus der Spalte hätte gehen können. Aussichtslos erschien mir die Situation.

Je mehr darüber schreibe, desto kribbelig wird es mir. Was ich mir jetzt nicht erklären kann ist, wieso bin ich überhaupt nicht in Panik geraten? Alleine auf einem unbekannten Berg vor unerwarteten gefährlichen Situationen ….. und trotzdem keine Panik. Es gaben die Angstmomente, die Mut-Momente, ich guckte nach hinten, nach unten, nach oben und dann ging ich einfach geradeaus weiter. Warum schaffe ich in meinem tagtäglichen Leben nicht, einfach so geradeaus spazieren zu gehen? Warum soll ich immer wieder unter Panik, Angst und Verzweiflung leiden? Dass die gestrige Erfahrung mir nicht umsonst „geschickt“ wurde ist mir klar, aber wie schaffe ich, das, was ich gestern umgesetzt habe, in meinem „normales“ Leben umzusetzen? Wie?!?! Was gibt es um mich herum, das ich noch nicht wahrnehmen kann?

Der Gedanke kam wieder: „Auf keinem Fall kehre ich jetzt um! Ich werde doch nicht das Wasserfall zurück hinaus klettern, um mich durch den schwarzen Tunnel zurück zum Auto zu schleppen. Nein, das ist definitiv nicht die Option!“

Nicht mal eine Sekunde war mir eine Option, alles aufzugeben und zurückzugehen. Die Situation erschien mir wieder aussichtslos, aber immer noch nicht so unmöglich. Komisch. Ich habe in den beiden Situationen heute genauso gehandelt, wie vor drei Jahren mit der Krebsdiagnose: „Es ist ein Irrtum! Der Krebs gehört nicht mir, die Diagnose hat mit mir nichts zu tun. Ich erkenne sie nicht, als mir zu gehören!“ Und heute bin ich durch „Feuer und Wasser“ einfach so gegangen, wie die Ente durchs Wasser Genau wie vor vier Wochen, an dem Montag, als ich bei 2.000 m, auf dem Schmitten, um 17 Uhr auf die linke Körperseite gewaltig stürtzte und spürte, wie der linken Schulter aus der Pfanne ragt. Der Schmerz war unerträglich, der Schock war gross und ich profitierte instinktiv, um Mitte in der Schock den Schulter zurückzuschieben und mein Abstief für die weiteren 11 Km zu absolvieren. Die tatsächlichen Schmerzen begannen spät in der Nacht, dann für 24 Stunden durfte ich Fieber erleben. Erst nach zwei Wochen konnte ich mich mit dem linken Arm besser helfen, damit Dinge greifen, mich umziehen, baden usw. Jezt, nach vier Wochen, laufe ich wieder auf dem Bergen und nicht auf irgendeiner Strecke ..... es war aber alles ungeplant!!

Das Leben sprach mich irgendwie wieder an. Ich weiß es, es klingt bestimmt verrückt, aber das ist die Übersetzung des heutigen Tages!

Und jetzt pass mal auf:

Ich näherte mich wieder zu der Stelle, wo ich vor einigen Minuten stand und Bilder schieß. Als ich auf Eier getreten hätte, stellte ich mein rechten Fuß auf dem Schnee …. Ob darunter auch solidem Boden war, hatte ich keine Ahnung. Die ganze Geschichte dauerte im Grunde weniger als drei Sekunden, verdammt noch Mal! Der Unterschied zwischen Leben und Tod (ein bisschen übertrieben jetzt, ich wäre nicht gestorben, aber sicherlich schwer verletzt!) lag in weniger als eine Sekunde, die ich voll erleben durfte und hier kommt der Schrei aus meinem Inneren!!! Ich hoffe, du hörst es, sonst wären meine Tränen jetzt gerade unwahr ….. aber ich spüre sie heiß und schwer auf meinen beiden Wangen …..

Ok …. Ich war total angespannt. Noch angespannter als zuvor. Ich vermute, eine große Dosis von Angst steckte auch in mir, aber ich gab mir keine Zeit, darüber zu denken, echt. Blitzschnell verlief alles ….. und ein großen Knoten steigt jetzt gerade in meinem Hals, die Verbindung zwischen Gehirn und Herz ist gerade gesperrt ….. jetzt kriege ich erst Angst, obwohl ich im Bett liege und über gestern schreibe …. Bin in Sicherheit und große, schweren, vollen Tränen laufen mir übers Gesicht ….. während gestern alles so kaltblütig verlief. Ich verstehe das nicht ….. Emotionelle Mechanismen des Daseins, die uns schützen …. Faszinierend, absolut irre! Warum finde ich alles so faszinierend überhaupt …. Ich glaube, ich muss aufgeben, mich zu verstehen.

Was gestern passierte war wahrscheinlich VERTRAUEN. Ja sicher ….. Das Vertrauen …. In das Universum, in das Leben oder in meinen Schützengeln. Oder in all diese Zusammen. In Karma. Es ist noch nicht die Zeit, dass ich so sterbe. Diktatur, Geheimnpolizeiverhör, Sprung aus dem Zug, beinahe Vergewaltigungen, Straßenkrieg überlebt, Krankheit in den höhen Himalayas, Stürze in der Wildniss, Burnout, Krebsdiagnose ….. es ist noch nicht die Zeit, dass ich so einfach sterbe und ein noch nicht veröffentlichtes Buch in der Welt einführe!!!

Ich näherte mich wieder zu der Stelle, wo ich vor einigen Minuten stand und Bilder schieß. Als ich auf Eier getreten hätte, stellte ich mein rechten Fuß auf dem Schnee …. Ob darunter auch solidem Boden war, hatte ich keine Ahnung. Dann der linken Fuß folgte sofort und den rechten nahm der festen Boden auf der andere Seite der Spalte im Griff und genau in dem Moment hörte ich einen grausamen Geräusch hinter mir und spürte ein wirbelndes Irgendetwas unter meinem linken Fuß, den ich noch nicht zu mir herangezogen hatte! ICH WAR IN SICHERHEIT UND HEIL AUF DER ANDERE SEITE DER SPALTE UND DES LEBENS, ALELUJA!!!!

Ich spüre wieder die Leere eines angespannten Magen und ich nehme erst jetzt richtig war, wie gefährlich gestern alles war.

Ich fiel natürlich auf dem steilen Bergwand rüber, auf der rechte Körperseite. Aber ich war in Sicherheit. Ich hatte Mut, hinter mir zu schauen und ich sah deutlich die Spalte. Die dünne Schneeüberbrücke war verschwunden, hinter mir blieb der Loch. Und ich war nicht in dem Loch. Die Kraft des Schneeblockabsturzes hätte mich mitreissen können, ich war aber eine Fraktion schneller. Oder ich war unbewusst verzweifelt und das gibt Kraft. Unerklärlicherweise blieb ich nicht stehen, ich stand nach 3-4 Sekunden wieder auf, nahm ein Bild fürs später und rannte tatsächlich hinunter zu dem Pfad. Ich rannte tatsächlich, leicht hinkend, aber erstaunt, dass ich weiterdurfte. Wieder eine Kurve und wieder war alles hinter mir verschwunden, keine Zeit zum Trauern oder so. Life goes on! Oder nicht ….

Nach etwa 30 Meter verlangsamte ich mein Tempo und spürte Spuren von Angst. Ich hatte noch dieses wilde Absturzgeräusch des Gerölls und der Schnee in den Ohren und vor den Augen lag mir die Szene der Spalte wie ein breit geöffneter Mund ohne Ende in der Tiefe. Das Gefühl, ich hätte mitgerissen werden können kam hoch und verschwand wieder, indem ich mich rasch fortbewegte. Um dies alles zu verarbeiten war noch nicht die Zeit. Diese Zeit begann erst heute.

Ich dachte, ich lerne gerade, mein Leben in einem milderen Tempo zu üben ….. was gestern geschah hat mit einem milden Tempo nichts zu tun.

Was treibt mich an?

Das war eine interessante Frage während der Ausbildung als Mental Trainer. Ich war die einzige in der Gruppe, die diese Frage nicht bekam. So musste ich sie damals nicht beantworten. Jetzt jagt sie mich aber und ich kenne die Antwort nicht.

Die Klaudia sagte mir damals, meine größte Stärke wäre der Überlebungswillen. Weil ich so oft in den vorigen Leben getötet wurde. Das ist nicht unbedingt ein Vorteil. Je kräftiger du bist, desto schwerer werden deine Lebensaufgaben. Anziehungskraft, Resonanzgesetz. Es gibt Frauen, die Angst vor Wasser haben, weil das Wasser feucht ist ... dann fallen sie nie im Wasser, sie werden immer verschönt - so, als Beispiel, im übertriebenes Sinne, natürlich.

Alles macht Sinn und ist gleichzeitig unsinnig. Ich pendle immer noch zwischen Extremen der Existenz und meistens geht es darum: „Weiter leben?“ oder „Lieber doch nicht?“

Ich bin verblüfft und gehe schlafen. Der Morgen kommt bald. Vor über einem Jahr versuchte ich mich zu überzeugen, dass alles was geschieht, dem Prozess gehört. Vor über zwei Jahren sagte ich mir ständig, alles gehöre dem Prozess. Vor drei Tagen sagte mir D., alles gehört doch dem Prozess, ich soll mir Zeit gönnen. Es gibt aber keine Zeit. Ich habe keine Zeit mehr. "

Das Geschehen, weniger Philosophisch dargestellt, befindet sich hier: Trail-running-to-the-high-alpine-reservoires

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen