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Sonntag, 26. Oktober 2025

4. Kapitel - Über uns

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Ich bin die Drohne über den Tal. 

Es ist wie eine Studienreise. Ich fliege über eine ziemlich weite, fast unberührte Landschaft, irgendwo an einem Ende der Welt. Langgezogen und schweigend, von der Zeit vergessen, breitet sich der Tal unter mir. Herbstlichen Mischfarben  fließen ineinander, Wasserläufe durchziehen das flache Land und führen bis an sein Ende, wo der Boden sich zu heben beginnt und das Weiß des Winters übernimmt. 

Vorn ragen steile Berge auf, ihre Gipfel verhüllt vom Schnee, kantig, unzugänglich, majestätisch in ihren unbewegten Wildnis. Hier und da uralte Holzalmen oder Hütten. Rechts und links ziehen sich Bergketten, wie gewaltige, erstarrte Wellen. Hinter mir liegt der  großzügiger Eingang in dieses weite verlassene Gelände, das dort endet, wo die wilden, weißen Mauern auftauchen und sich zum Himmel strecken.

Durch dieses Tal wandert eine Frau. Eine kleine Figur inmitten der Weite, erkennbar nur an dem dunkelroten Tagesrucksack und die schrillgelbe Jacke, die sich gegen das fahle Licht abhebt. Sie geht fast langsam, stetig, ihr Atem steigt in kleinen Wolken auf. Ab und zu jodelt sie, ihr Ruf verliert sich zwischen den Felswänden, hallt zurück – einsam, aber nicht verzweifelt. In ihrem Gang liegt etwas Entschlossenes, als würde sie nicht nur den Talboden überqueren, sondern ihre eigene Heilungsreise die sie zu neuen Erkenntnisse führt – eine Bewegung zwischen Vergangenheit und Wiedergeburt. Links von ihr stürzt ein hoher Wasserfall in die Tiefe. Der Aufprall des Wassers ist das einzige Geräusch, das die Stille durchdringt. Von Ferne klingt das Rauschen wie ein Atemzug der Erde selbst. Keine Tiere sind zu sehen, keine Spuren im Schnee außer ihren eigenen. Der Wind hebt sich gelegentlich, spielt mit losen Schneeflocken, als wollte er prüfen, ob sie standhält.

Die Sonne kämpft mit einer dichten Wolkendecke; manchmal bricht ein Strahl durch, trifft auf das Eis und lässt die Landschaft für einen Moment aufleuchten – kalt, doch von einer erhabenen Schönheit. Dann wieder legt sich Schatten über das Tal, schwer und grau, als wollte der Himmel alles verschlucken. 

Die Kälte zieht heran, herbeigerufen von der Dämmerung, die sich wie ein Tuch über die Hänge legt. Das Licht verliert an Kraft, und die Grenzen der Welt beginnen zu verschwimmen. Doch sie geht weiter. Schritt für Schritt. Nicht aus Pflicht, sondern aus einem stillen Wissen heraus, dass Bewegung manchmal die einzige Form von Gebet ist, die bleibt.

Über ihr, zwischen den Bergen, formt sich ein letzter Lichtsaum. Für einen Augenblick scheint es, als läge dort oben eine Antwort verborgen – hinter der weißen Wand, die ihr Leben seit Jahren spiegelt: unnahbar, kalt, aber voller unausgesprochener Bedeutung.

Sie hört mich nicht, aber ich höre ihre Gedanken. In dieser Einsamkeit, in dieser Stille, wird das Ich sehr spürbar. Sie über seit so viele Monate um dieses Ich zurück zu gewinnen …. Es ist nicht ein Bild, das reflektiert wird, nicht ein Spiegel, der bestätigt, sondern als Präsenz, die sich selbst trägt. Sie ist allein unterwegs, aber nicht verloren. Sie ist sich selbst genug. Die geschlossene Hütte, die unüberwindbare Bergkette – sie lehren Demut, aber auch den Genuss und Notwendigkeit, in sich selbst zu ruhen.

Vielleicht ist das Leben ohne Spiegel genau dies: nicht zu wissen, wie man wirkt, nicht ständig überprüft zu werden, sondern sich selbst in Bewegung und Resonanz zu erfahren. Wer schreibt, wer liest, wer sich der Stille stellt, lebt in diesem Zwischenraum: nicht durch andere, nicht durch Spiegel, sondern durch Bewusstsein selbst.

Vielleicht ist es das, was große Literatur, bewusste Stille und Schreiben miteinander verbinden: die Einladung, sich selbst ohne Spiegel zu begegnen, die eigenen Werte zu reflektieren und das Leben auf einer tieferen Ebene zu definieren. Worte, Bewegung, Aufmerksamkeit – sie werden zu Werkzeugen der Selbstwiederfindung.

Wer diesen Weg betritt, erkennt: Freiheit liegt nicht in Kontrolle, nicht in Spiegeln oder Bestätigung von außen, sondern in der Fähigkeit, sich selbst zu spüren, zu denken, zu erleben, wahrhaftig zu lieben. Überforderung, Tiefe, Ambivalenz – sie sind kein Hindernis, sondern das Zeichen, dass Bewusstsein lebendig ist.

“Wieder am Stift zu greifen” ist ein leiser, aber doch ein mächtiger Satz. Er zeigt eine Rückkehr zur eigenen Stimme, zur Bewegung der Hand, die das Unsagbare tastend sucht. Ist der Moment, in dem du wieder zum Stift greifst, der Moment, in dem das Schweigen anfängt, sich zu verwandeln? Nicht nur “schreiben wollen”, aber “ wieder lebendig sein wollen”. Der Stift ist das erste Werkzeug des inneren Atems. 

Vier Jahre, die alles zermübelt, zerstört” haben - vielleicht musste das alte Selbst, die alte Welt, die alte innere Sprache verbrannt werden?

Das “Zuhause-Gefühl” war da, aber falsch verstanden. Wir alle verstehen etwas falsch, wenn wir etwas anderes nicht kennen. Es ist nicht Ignoranz, sondern Unwissen. Wenn man als Kind ein toxisches Zuhause hatte, wird Toxizität als Zuhause geprägt. Deswegen hat sie das familiäres Gefühl gewählt. Er gab ihr “das Zuhause-Gefühl” und vor vier Jahre wusste sie nicht, was das eigentlich zu bedeutet hatte. Sie musste dadurch erkennen, woher sie kam, wodurch sie so lange sich definieren lies. Er durfte Glück, Farben, Leidenschaft, Entgegenkommen, Aufmerksamkeit, bedingungslose Liebe und Harmonie kennenlernen - Sachen, die er nicht kannte und so musste er sie einfach ablehnen. Weil so viel Gutes kann auf einem auch überfordernd wirken. Als sie damals neben ihm litt, zeichnete sie ihre Gefühle. Sie zeigte ihm das Fertigbild, weil sie ihn mit Worten nie erreichen konnte, der Mann war in der Beziehung gehörlos. Er schaute kurz, nur weil sie damit vor ihm in der Stube stand. Nach zwei Sekunden schaute er weg. Die Sendung im Fernseher war wichtiger, lustiger. Das war alles. Er verstand nichts, weil er alles längst abgelehnt hatte. Nicht interessierte ihn, nichts beeindruckte ihn, nichts konnte in ihm Empathie oder Liebe erwecken. Emotional - tödliche Stille, mit der er gewohnt war und welche für sie Gift war.

Dort, wo etwas zerstört wurde, entsteht der Raum für eine andere Wahrhaftigkeit. Vielleicht ist der neue Stift, den du jetzt holst, ein anderer als der von früher. Schärfer. Wahrer, Trauriger, aber reicher, inspirierender.

Das Wieder-Greifen ist kein Zurück. Es ist ein Neubeginn mit einer anderen Tiefe. Man muss nicht gleich schreiben, nur die Bewegung wieder zulassen. Aber …. sie schreibt !!!!




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